Polyamant
One year of living dangerously

Ich lese und spreche gerade viel über Trauma. An verschiedenen Stellen: Frauke beschäftigt sich gerade beruflich für ihre Ausbildung damit, mit meiner Kusine bin ich Anfang April ein Familientrauma angegangen, das mit unserem Großvater zu tun hat, dessen Entscheidungen anscheinend einige echt schwerwiegende Muster ausgelöst haben - und dabei haben wir festgestellt, dass gar nicht er der Täter in der Geschichte ist, sondern alle anderen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls: Ich habe ja hier schon ein wenig darüber geschrieben, dass das Jahr 2015 in gewisser Weise eine Zäsur war. Erst wünsche ich mir Veränderung, dann verändert sich alles um mich herum, so dass ich mich um alles andere kümmern musste. Und dann musste ich mich auch noch um mich selbst kümmern.

All das ist gut ausgegangen, auch wenn ich hier ein Jahr Pause gemacht habe: Ich hab mich selbständig gemacht, viel Zeit für mich gehabt, in Ruhe alle Probleme lösen können, zu deren Lösung ich beitragen konnte. Jetzt sollte man denken, dass ich mich zufrieden zurücklehnen und sagen könnte: Na also, es gibt nichts, wovor ich mich fürchten muss. ich bekomme am Ende alles geregelt.

Das ist auch so. Im Kopf jedenfalls. Seltsamerweise sagt mein Körper was anderes: Ich bin sehr schnell müde, ich bin immer wieder grundlos angespannt und bekomme irrationale Ängste. Meine viele zeit, die ich habe, scheint keinen Nutzen zu haben, denn ich fahre nicht mehr weg als früher, schreibe nicht mehr, lese nicht mehr und tue nicht mehr als zu der zeit, in der ich das Gefühl hatte, vor lauter Arbeit kein Leben zu haben.

Es ist, als wäre mein Körper ständig in einem Aufmerksamkeitsmodus, in einer Alarmstimmung, obwohl gar nichts passiert. Als ob er misstrauisch ist: Je länger nichts passiert, desto aufmerksamer muss er sein, denn es wird ja irgendwann wieder die nächste Katastrophe eintreffen und ich muss wieder ins Feuer rennen, denn das ist, was ich tue.

Mein Körper erinnert sich nicht mehr daran, wie es ist, entspannt zu sein und Dinge zu tun, die ihm gut tun. Oder vielleicht genauer, er befindet sich immer noch in der Krise von 2015, als alles gleichzeitig brannte und er perfekt funktionieren musste, weil die Welt tatsächlich untergegangen wäre, hätte er sich auch nur einen Tag krank genommen.

Ab Mitte 2016 waren alle Feuer gelöscht und es begann die Suche nach meiner eigenen Balance. Nur, dass der Aufbruch zu dieser Suche nicht wirklich stattfand. Schon ein bisschen, es war am Ende ein gutes Jahr, in dem ich viele schöne Dinge gemacht habe und viel aufräumen konnte, das liegenblieb. Aber so richtig anstrengend durfte es nie werden, denn sobald es Gefahr lief, selbst im Positiven, fühlte ich mich schwer und müde. Kompliziert war sofort bedrohlich. Also machte ich das Jahr unkompliziert. ich hatte genug Geld, konnte mich oft zurücklehnen und ausruhen, machte keine großen Pläne und steuerte immer die ruhigen Gewässer an. Ich hatte viele Menschen, die mich zu interessanten Partys einluden oder spannende Themen aufbrachten. Aber mein Körper hielt mich fast immer davon ab: Ich war oft erleichtert, wenn ich absagte.

Inzwischen ist mir klar, dass ich das Krisenjahr zwar gut gemeistert habe, aber noch lange nicht überstanden habe. Ich muss irgendwie meinem Körper noch klar machen, dass er weitermachen kann. Dass die Krise vorbei ist. Er glaubt es mir wohl aber leider noch nicht.

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Aus der Deckung

Die Party im Insomnia Samstag Nacht hat mich erschüttert. Ich wusste drei Tage kein Wort dafür. Ich stand seit dem so ein wenig neben mir und wunderte mich über meine Empfindung. Ich verwechselte sie ständig mit welchen, die ich kenne - Eifersucht? Befremden? Trauer? Das konnte alles nicht richtig sein, denn es war ja ein wunderbarer Abend, ein sehr wildes, sinnliches Erlebnis, das ich so vorher noch nie hatte.

Erst heute morgen erkannte ich, dass es daher natürlich auch eine Empfindung geben kann, die ich vorher nie hatte und dass es mich in die Irre führt, wenn ich, um sie zu ergründen, vergleichbare Ereignisse suche.

Aber was war so erschütternd daran? Dass es um Sex ging? Sicher, das war intensiv, nah, aufregend. Und es war eine unglaublich starke Verbindung, die unsere Gruppe da auf der Polsterinsel hatte: Erotisch, persönlich, innig, liebevoll. Sie war so spürbar, dass ich das Gefühl hatte, in einem Pool zu liegen, der mit all diesen verbindenden Gefühlen randvoll aufgefüllt war. Es hat mich ruhig gemacht und zufrieden. Es gab also nichts, wovor ich Angst hatte.

Aber warum war ich danach so neben mir? Fast verwirrt, konsterniert. Der Sonntag war voller Missverständnisse und ich traf nie den richtigen Ton, fühlte mich wie in einem leichten Trauma - entkoppelt, viel zu sehr nur im Kopf, viel zu wenig mit dem Herzen dabei. Warum bin ich nicht euphorisiert darüber, wie schön das Wochenende war? Wie viel gute Gespräche es gab, wie viele großartige Menschen ich kennengelernt habe, wieso kann diese eine Party mich aus der Bahn werfen?

Ich denke, ich weiß den Grund inzwischen: Ich war - vielleicht zum ersten mal - ein Teil des Ganzen. Ich war dabei, ich stand nicht daneben. Ich küsste Frauen und Männer, hatte eine wilde Begegnung mit zwei schönen Frauen, musste nicht abgeholt werden sondern war wie selbstverständlich mittendrin und konnte sogar darauf achten, dass andere integriert wurden.

Aber das war nicht selbstverständlich. Und ich war erschüttert und verwirrt darüber, dass ich über vierzig Jahre alt werden musste, bis ich endlich dieses Gefühl kennen lernen durfte: Selbstverständlich dabei zu sein, wenn es allen gut geht...

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Kitkat-Party

War nett. Laut, zu viel Rauch (hab heute nen fiesen Nikotinkater vom Passivrauchen). Aber eben auch viel Haut, Lack und Leder. Ich war mit einer netten kleinen Gruppe interessanter Menschen dort und habe mich durchaus gut amüsiert.

Interessant für mich war allerdings weniger der - erwartbar gewesene - Umstand gewesen, dass einige Leute verschiedene Körperteile zumindest halbwegs sinnvoll ineinander steckten, sondern dass sich die ja ausdrücklich gewünschte 'Experimentierfreude' und das 'lustvolle Entdecken' zumeist ausschließlich auf den jeweils mitgebrachten Partner/Partnerin bezog.

Insoweit war diese Party, abgesehen davon, dass die Leute dort anders gekleidet waren und im direkten Umgang miteinander weniger zurückhaltend, nicht wirklich anders als ganz normale Partys auch. Oder vielleicht sogar um einiges weniger spannend, denn durch das Fehlen der Möglichkeiten, die es einem in weniger extremen sozialen Situationen erlauben, auch einfach mal miteinander zu flirten oder harmlosen Smalltalk auszutauschen, blieben die meisten der Partygäste inmitten des Trubels streng unter sich. Ich habe noch nie eine Party erlebt, auf der sich so wenige Menschen für die Menschen interessiert haben, die sonst noch da waren (abgesehen von den seltsamen, einsam vor sich hinwichsend herumstreunenden Typen).

Auch mal interessant, das gesehen zu haben.

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Ein paar neue Unterschiede

zwischen Menschen in einer monogamen Beziehung und in einer Polybeziehung lerne ich momentan.

Ich habe am Wochenende eine interessante Frau kennengelernt. Wir haben die ganze Nacht in einer für die Mainacht extra romantisch eingerichteten Jurte damit verbracht, bis zum Morgengrauen über irgendwie alles mögliche miteinander zu reden.

Was ich nun schön fand ist, daß ich das E. erzählen konnte. Selbst wenn mehr passiert wäre als eine durchgequatschte Nacht hätte ich das tun können. Ihre erste Frage war dann "Und? Hast Du Dich verliebt?" und sie war vor allem neugierig. Wie großartig ist das, wenn sich die Freundin darüber freut, daß man eine schöne Begegnung mit einer anderen Frau hatte? Welche Freundin sagt "Das ist gut!" zu einer solchen Geschichte?

Ich konnte ihr die Frage nach dem verliebt sein allerdings ehrlicherweise gar nicht so recht beantworten. Verliebt? Das weiß ich nicht. Noch nicht. Ich wollte in jener Nacht auch nicht wirklich darüber nachdenken, ich wollte die Begegnung einfach genießen. Ich weiß, ich mag sie sehr gerne und ich habe ihr gesagt, ich würde mich freuen, wenn wir befreundet sein könnten. Was sie erwiderte. Und genau soweit kann ich den Stand der Dinge erfassen und wiedergeben.

Freunde von mir, die mit mir zurück nach Köln gefahren sind, schüttelten dann ein wenig den Kopf über mich; sie verstehen nicht so ganz, daß ich die Nacht mit einer Frau zusammen war und wir dann doch "nur" geredet haben. Ein weiterer Unterschied wie ich meine, denn ich beobachte, daß das bei den Polys alles oft viel schneller - bzw. für meinen Geschmack sogar zu schnell - geht und der Sex gar nicht so selten schon als fast selbstverständlicher Abschluss des ersten Kennenlernens ansteht. Das ist mir aber zu hektisch und vor allem unnötig, ich glaube nicht, daß mir das entspricht. Wieso soll man sich denn nicht erst in Ruhe kennenlernen, mit all der Zeit und Intensität und Ruhe, die einem zur Verfügung steht? Es läuft ja keine Uhr ab und verpassen tut man auch nichts...

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Wir wollten Orgien...

Kurz:
Die Party gestern in der Essigfabrik war insgesamt sehr schön und ich hab sie zum größten Teil der Zeit sehr genossen, was aber weniger am Ambiente sondern vor allem an den großartigen Menschen lag, die da waren und mit denen ich da war.

Lang:
Daß ich mich wohlfühlte, lag nicht wirklich an der Party selbst: Der DJ kam leider nie recht in den Fluss und vergriff sich schrecklich oft. Er vergaß oder wusste gar nicht erst, womit er die Leute auf die Tanzfläche bekommen hätte (FgtH, Queen,...) und man musste sich auch erst an das nicht vorhandene und phantasielose Ambiente der Location (die einzigen bunteren Lichtquellen schienen die Bierwerbung hinter den Bars zu sein, Süßkram in Plastikfolie statt z.B. Obst zu verteilen halte ich auch nicht für Sinnlich) gewöhnen.

Die erste Enttäuschung über die laue Atmosphäre kann aber gerne an meinen überzogenen Erwartungen gelegen haben: Ich hatte als eine schöne Einstimmung für unsere "Reisegruppe" das Abendessen vorbereitet, das meinen Vorstellungen zur angekündigten Tanzparty entsprach, deren Claim "Wir wollen Orgien" ist: Es gab Lachsschnittchen, Kaviarhäppchen, edle Salami, Käse und Serranoschinken, ich hab Avocadodip und Blätterteigteilchen gemacht und Brote mit lecker Pastete und Preiselbeeren. Ich dachte, es würde eine sinnlichere und verspieltere Umgebung geschaffen - stattdessen wurde einfach nur alles dunkel abgehängt und ein Beamer strahlte schwarzweiß-Fetischbilder in eine Ecke. Da war somit erst ein mal ein gewisses Gefälle zu überbrücken, aber da ich fest entschlossen war, mich zu amüsieren, war nach einer knappen Stunde doch alles ganz gut im Lot.

Warum mir der Abend nämlich dennoch gefallen hat waren die Menschen dort. Einerseits natürlich die, mit denen ich dort war, aber auch die anderen Besucher der Party. Es gab großartige, phantasievolle Kleidung (und nicht-Kleidung) zu sehen und den unbedingten Willen zu spüren, es schön zu haben. Der DJ hatte von daher Glück, daß die Menschen unbedingt tanzen _wollten_ und es schafften, die gute Stimmung zu halten, auch wenn er z.B. die Gipsy Kings quer in den Salsa-Part haute oder mit Katie Perry die Tänzer von der Bühne jagte, die gerade noch auf die englischen Schwulenhits der 80er abhotteten.

Ich selbst bin ja nicht der Tänzer, aber ich fand es sehr schön, von dem etwas erhöhten Balkon aus, an dem wir uns eingerichtet hatten, die Tanzfläche zu beobachten, dabei meinen Gin Tonic zu trinken und mal so ein bisschen cool zu sein. Ich wußte gar nicht, daß ich es so genießen kann, von anderen angehimmelt zu werden.

Die anderen waren sicher wesentlich ausgelassener als ich und ich hoffe, sie glauben deswegen nicht, daß es mir nicht gefallen hätte. Ich freute mich, meinen Freunden und Freundinnen beim Tanzen zuzusehen und genoss ihre Ausgelassenheit. Ich sammelte viele schöne Bilder und Situationen, ich teilte auch Berührungen und Küsse, aber konnte da leider nicht so richtig die Umgebung abschalten. Was aber vielleicht auch nicht so verwunderlich ist, weil es das erste Mal war, daß ich auf so einer Party gewesen bin. Ich denke, das wird auf der nächsten schon anders sein...

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vielleicht weil ich auch so bin - doch mancher...
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zwar ein paar Jahre, aber ich kann das, was...
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koerperlich ;)aber okay, bei mir ist's der Ruecken
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Das war zwar schon öfter mal so, vor allem nach...
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