Polyamant
Sonntag, 6. Juni 2010
Vom Perfekt sein wollen

Man möchte gut sein, in dem was man tut. Ich glaube, das ist ein ganz guter Plan, daß es mit diesem Wunsch einen Antrieb im Menschen gibt, der ihn dazu bringt, gute Sachen zu machen. Gut für andere, gut für sich.

Wenn man seinen Ansprüchen gerecht wird, ist man zufrieden, man fühlt sich gut und sicher. Verfehlt man sie, fühlt man sich mies und versucht, den Fehler wieder gut zu machen und wenn das nicht möglich ist, fürs nächste Mal zu lernen. In Partnerschaften ist es dann wichtig, das zu erkennen. Hier wächst - wenn man korrekt, transparent, ehrlich und aber auch verständnisvoll mit den eigenen Fehlern und den Fehlern der Partner umgeht - im besten Fall das Vertrauen, daß nach der Klärung aller Schwierigkeiten und dem Heilen der Verletzungen alles wieder gut wird.

Allerdings gibt es eine Eigenschaft im Menschen - nicht in allen vielleicht, aber auf jeden Fall in mir und anderen, die mir lieb sind - die die eigentlich guten Ansprüche zuweilen (oder sogar sehr oft) viel zu hoch hängt: Der Perfektionismus. Selbst wenn es keinen echten Grund zum Gram gibt, verursacht er Unzufriedenheit. Man glaubt, daß man nicht gut genug war in was auch immer man gerade getan hat; man sieht das Erreichte nicht weil man zu sehr auf das schaut, was man hätte erreichen wollen; man fühlt sich schlecht weil der Körper nicht so wollte wie man sichs erträumte oder zu müde ist obwohl man das Gefühl hat, etwas wichtiges tun zu müssen.

Ich habe herausgefunden, was mir hilft, herauszufinden ob ich mich gerade wirklich anstrengen und was tun muss oder ob mein persönlicher Ehrgeiz, z.B. der perfekte Freund oder Geliebte zu sein, mir gerade unnötig den Abend verdirbt: Ich frage nach, ob das was mich gerade an mir stört irgendjemanden anderes auch gerade stört. Wenn es das nicht tut, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß ich einfach nur mit meinen eigenen Ansprüchen kämpfe und ich kann in Ruhe überlegen, ob es mir wichtig ist, die damit verbundenen Aufgaben zu erfüllen oder nicht. Wenn nicht, brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben und kann z.B. ein paar Stunden vergammeln ohne mich hinterher mies zu fühlen weil ich glaube, daß ich in dieser Zeit was sinnvolles hätte machen müssen.

Wenn ja, kann ichs angehen.

Was ich aber auch weiß: Man hat nicht immer die Gelegenheit, zu fragen. Oder es gibt Themen, bei denen man sich nicht so einfach traut, den anderen anzusprechen. Oder man weiß gar nicht genau, wen man jetzt damit behelligen kann, weil gerade keiner erreichbar ist oder man meint, daß man vielleicht gerade stört und das dann kontraproduktiv wäre.

Wozu sowas führt kenne ich seit vielen Jahren: Eine innere Karusselfahrt, in der man unglaublich viele Gedanken wälzt, aber nichts zustande bringt. man macht sich Sorgen, beginnt sich viele Dinge auszumalen, die gerade passieren oder die andere über einen denken, während man in dieser Wirrnisspirale aus schlechtem Gewissen, Ansprüchen und Schuldkomplexen festhängt und am Ende sogar manchmal auch noch sauer auf den Anderen wird, weil der einen irgendwie in diese Situation gebracht hat, jetzt aber nicht zur Rettung eilt. Natürlich braucht er das nicht, denn er hat ja auch nicht. Meistens löst sich der Sturm auch sofort auf, wenn man sich dann sieht, denn der Partner weiß ja gar nichts davon, daß man sich gerade so schrecklich in sich selbst verstrickt hat.

Und doch passiert es mir und meinen Lieben immer wieder. Vielleicht ist das ja auch normal und daß wir uns darüber ärgern ist auch nur wieder eine Form des selben Mechanismus des Perfekt sein wollens. Vielleicht muss man diesen Fehler im System als Ausnahme für die eigentlich gute Eigenschaft, aufeinander Acht geben zu wollen akzeptieren. Und den anderen einfach nur trösten, wenn mal wieder ein Sturm der Perfektion die Selbstzweifel anschürt.

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Wow, da haben wir tatsächlich heute über genau dasselbe Thema geschrieben.
Ich stell mir vor, ich würde jemanden fragen, ob er/sie es für ein Problem hält, wenn ich an einem sonnigen Nachmittag nicht nach draußen gehe. Was würden die denn da sagen? Vielleicht "uhm, mach doch das, womit Du Dich wohl fühlst?" Das Problem, das ich da habe, würden die meisten Leute gar nicht verstehen können, und es ist auch sehr schwer zu erklären.
Ich glaube, ich werde üben, es zu ignorieren. (Oder... mhm...)

Für soziale Situationen ist Deine Variante (nachfragen) sicher am besten.

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