Polyamant
Zeit

Ich fühle mich alt. Das war zwar schon öfter mal so, vor allem nach Winter, aber inzwischen sind die Phasen, in denen ich mich alt fühle länger und präsenter, als die Phasen, in denen ich mich jünger fühle als ich bin.

Dass ich mich jünger fühlte war tatsächlich lange so. Das lag daran, dass ich körperlich einigermaßen fit war, mich für Themen interessiere, die "erwachsene" Menschen ganz gerne kindisch finden und ich sah immer jünger aus als ich bin. Als ich 28 war sind wir in den USA gewesen und beim Rückflug fragte mich die Stewardess, ob ich schon 21 sei, weil in US-Fluglinien gälten US-Gesetze und da wäre Alkohol leider erst ab 21 erlaubt. Diese Art von jünger aussehen.

Das gibts auch heute noch, Kollegen von mir fragen mich regelmäßig, wie alt ich bin, sobald sie erfahren, dass ich einen neunzehnjährigen Sohn hätte und schätzten mich mindestens 5 Jahre jünger.

Aber 5 Jahre jünger sind 39 Jahre und 39 war ich gefühlt vor einem halben Jahr. 39 ist kein Alter, das mir absurd jung vorkommt so wie 20 für einen 28-jährigen. Ich habe das Gefühl, mein Alter rast rapide voran, ich komme gar nicht mehr mit. Dieses Jahr werde ich 45 und die Zahl ist komplett random. Unwirklich. Beängstigend, denn wenn das so weitergeht bin ich in gefühlt 6 Monaten fünfzig und der fünfzigste Geburtstag meines Vaters war quasi erst letztens. Und da spielte eine Blaskapelle vor der Tür.

Ich erschrecke inzwischen, wenn ich manchmal in den Spiegel schaue. Oder Fotos sehe, auf denen ich faltiger, aufgedunsener, müder und grauer aussehe als ich mir zugestehen will.

Es gibt Veranstaltungen, auf die ich nicht mehr gehe, weil ich dort nicht mehr hin passe sondern ein seltsamer alte Creeper wäre.

Es gibt inzwischen mehr Generationen hinter mir als vor mir. Ich erzähle irgendwas und stelle fest, dass meinem Zuhörer der Kontext fehlt, weil die Siebziger für ihn ähnlich ungreifbar sind wie für mich die fünfziger. Ich bin in den Siebzigern und Achtzigern aufgewachsen und kann auch mit den Sechzigern was anfangen, da die für meine Elterngeneration so präsent gewesen sind, dass man davon genug mitbekommen hat. Mein vierzehnjähriger Sohn hat nie mit D-Mark bezahlt. Mein neuzehnjähriger Sohn ist weit nach dem Mauerfall geboren.

Ist das ok, dass mir sowas Angst macht?

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Meine größte Angst

war schon immer, dass sich Menschen von mir abwenden würden, weil ich ihnen zu langweilig werde.

Ich habe das Gefühl, ich kann oder ich habe so viele Dinge und Eigenschaften nicht, die Menschen interessant machen:

Ich schaffe es nicht, meine Wohnung schön einzurichten.

Ich habe nur selten mal spontane Ideen und meine durchaus vorhandene Begeisterung zeigt sich nicht so expressiv wie es wahrscheinlich sein sollte.

Ich kompensiere Arbeitsstress damit, dass ich längere Zeit nur langweilig vor mich hin lebe.

Und dann: Ich bin nicht nachtragend und kann mit vielem umgehen, womit andere auch schnell in ernsthaften Stress kommen - ein Partner hat also viele Freiheiten und muss nicht ständig über eventuelle Fehler nachdenken. Grundsätzlich ist das eine gute Eigenschaft, ich weiss. Aber es macht mich natürlich auch weniger aufregend. Man muss nicht um mich kämpfen. Ich biete wenig Drama. Aufregend ist anders. Usw.

Ich habe momentan keinen konkreten Anlass, warum ich das hier aufschreibe. Mir geht es gut, es ist nichts passiert und ich fühle mich mit den Menschen die ich liebe verbundener denn je.

Ich hab nur schon öfter mal versucht, diese Gedanken aufzuschreiben, aber eben zu Zeiten, in denen mir das Probleme bereitet hat. Da hat mir dann aber immer der Abstand gefehlt, um sagen zu können...

Ich werde mich da nicht wirklich ändern. Ich möchte gerne weiter lernen, mich und meine Gefühle besser nach außen auszudrücken, meine Wohnung schöner hinzubekommen und den Arbeitsstress anders zu kompensieren, aber grundsätzlich bin ich mit meinem Selbstanspruch, ein verlässlicher und undramatischer Partner zu sein, ganz zufrieden.

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Warten

Keine Ahnung, wie lange der Mensch so in seinem Leben mit warten beschäftigt ist, aber der Begriff ist ein Widerspruch in sich. Denn man ist nicht beschäftigt. Man tut nichts. Man hat Zeit, sich Gedanken zu machen. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem man sich verabredet hat. Ab dann hat man Zeit sich Sorgen zu machen. Oder verrückt.

Ich hab keine generellen Probleme mit Warten. Ich bin nicht ungeduldig. Ich kaue nicht an den Fingernägeln, bis das nächste Buch meiner Lieblingsautoren rauskommt oder ein Film, den ich unbedingt sehen will. Beides wird irgendwann passieren und dass etwas einfach seine Zeit dauert macht mir keinen Stress.

Bei zwei Gelegenheiten aber kann ich nicht ruhig bleiben.

Die erste ist Schlange stehen. Gott, geht mir das auf den Geist. Mich irgendwo anstellen zu müssen lässt mich sofort nach Alternativen überlegen: Morgen wiederkommen? Woanders hingehen? Es ganz lassen? Anstehen macht mich aggressiv, denn die Zeit in einer Schlange ist für mich so bewusst vertan, ich kann die Uhr im Kopf ticken hören und jede Sekunde die vergeht nimmt mir etwas mehr von der Erwartung dessen, weshalb ich mich anstelle. Ich wende daher meistens die Faustregel an: Wenn ich länger warten muss als das, weshalb ich anstehe dauert, geh ich wieder.

Die zweite ist die Situation, die ich eingangs beschrieben habe: Wenn ein verabredeter Zeitpunkt verstrichen ist und ich keinerlei Info bekommen habe, dass es länger dauert. In Zeiten von Handy, SMS und WhatsApp hat sich das Problem verzehnfacht, denn vorher konnte ich mich immer noch eine Weile beruhigen, weil keine Info ja bedeuten kann, der andere ist schon unterwegs. Inzwischen aber mache ich mir sofort Gedanken: Bin ich so unwichtig oder sind Verabredungen mit mir so unverbindlich, dass man mir nicht mal Bescheid geben braucht, wenns nicht klappt? Ich weiß, dass das dumm von mir ist, aber solche Situationen gehen leider sofort auf mein Selbstwertgefühl. Dagegen kann ich auch nicht viel tun - meine Ratio erklärt mir ja auch jedes mal, dass es vielleicht besser wäre, einfach mal auf den anderen sauer zu sein statt auf mich und überhaupt, Verspätungen sind echt nichts schlimmes und niemand der sich verspätet tut das, weil er mich nicht wertschätzt. Das hilft nicht viel, mir gehts in diesen Momenten einfach mies. Und wie unsinnig das ist beweist ja auch, dass das Gefühl fast sofort komplett verschwindet, wenn die Verabredung dann eintrifft. Dann merke ich: Ich bin kein bisschen sauer, dass sie zu spät kommt. Ich hatte aber Angst, dass sie gar nicht kommt.

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Abgemacht

Ich versuche, mich strikt an Abmachungen zu halten. Das liegt ein wenig daran, dass ich nicht gut einordnen kann, wie wichtig oder wie eindeutig die Dinge sind, die andere von mir verlangen oder um die sie mich bitten. Das führt zwar oft - wirklich sehr oft - dazu, dass mir Leute sagen "Aber das war doch nicht so Ernst gemeint" wenn sie merken, dass ich mich aus ihrer Sicht viel zu konsequent an eine Abmachung halte oder dass sie selbst das vermeintlich wichtige Anliegen schon längst wieder vergessen haben.

Aber ich ziehe das durch, denn was natürlich schon auch mal passiert ist, dass ich nicht aufpasse und die Abmachung doch breche. Weil ich sie vergesse, weil sie mit meinen eigenen Problemen kollidiert oder Teil davon ist, weil ich einen Moment nicht aufpasse. Dann tut mir das so sehr und so lange Leid, dass ich lieber bei meinen Abmachungen viel zu konsequent bin als sie zu lasch zu handhaben.

Klar denke ich ständig drüber nach, wie Ernst eine Abmachung gemeint ist. Oder wie lange sie wohl wirklich gilt.

Zum Beispiel überlege ich seit Jahren immer mal wieder, ob es richtig war, den Kontakt mit einer Frau die ich sehr mochte komplett abzubrechen, weil sie mir sagte, dass sie das so will, sollte es zu einer Trennung kommen. Ich hab keine Ahnung, ob das wirklich so Ernst gemeint war wie ich das durchziehe, aber so lange man mir nichts anderes sagt, halte ich mich lieber an das, was ausgemacht war als falsch zu liegen und alles wird plötzlich peinlich und unangenehm.

Will sagen: Ich habe mit vielen Menschen die verschiedensten Abmachungen von denen ich ziemlich überzeugt bin, dass sie eigentlich gar nicht mehr gelten. Daher wäre es nett - falls das jemand liest, der mal was mit mir ausgemacht hat oder es vorhat zu tun - euch die Abmachung auch bitte zu merken und Bescheid zu geben, wenn ich sie nicht mehr einzuhalten brauche.

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Ängste sortieren

Ich habe keine Angst vor Menschen und ich bin auch nicht wirklich schüchtern. Das wurde mir zuweilen zwar nachgesagt, ich konnte das aber selbst immer irgendwie nicht nachvollziehen. Allerdings stimmt es schon, ich scheine mich nicht - oder erst spät - dazu durchringen zu können, auf andere Menschen zu zu gehen. Natürlich steckt da eine Angst dahinter, aber eine etwas andere, und zwar die Angst vor Zurückweisung.

Als Kind hatte ich Angst vor dem Dunkeln. Dachte ich. Aber inzwischen war ich schon oft genug irgendwo wo es dunkel war und konnte letztendlich festmachen, wovor ich wirklich Angst hatte: Davor, mit dem was dort im Dunkeln ist nicht alleine zurecht zu kommen. Die Dunkelheit selbst ist eigentlich völlig unproblematisch. Aber irgendwann hatte ich bemerkt, dass sich die Angst genauso anfühlte, als ich mich vor jede Menge Führungskräften alleine gegen meine mobbende Chefin wehren musste. Oder jetzt gerade, weil ich nicht weiß wo ich als nächstes hin muss und welche Entscheidungen ich treffen muss und keiner da ist, der mir praktisch dabei helfen kann.

Diese beiden Ängste habe ich schon lange, ich kenne sie - bzw. die dahinter liegenden tatsächlichen Ängste - und komme damit zurecht. Ich habe Workarounds und ich habe genug Erfahrungen, um mich den damit verbundenen Situationen dennoch effektiv stellen zu können. Genauso ist das auch noch mit ein paar anderen Ängsten, die ich so habe: Ich kenne sie, ich gehe mit ihnen um und ich bekomme die Dinge am Ende ganz gut in den Griff.

Aber es gibt irgendwie auch neue Ängste. Welche, die ich länger nicht bemerkte, die irritierten, weil da die bestehenden Lösungen nicht so richtig passten. Und für die ich erst noch herausfinden muss, wovor ich wirklich Angst habe. Ich habe zum Beispiel Angst vor dem Älter werden. Was sicher so nicht richtig ist, aber es fühlt sich so an. Ich frage mich, wo das tatsächliche Problemfeld ist. Angst stecken zu bleiben? Was zu verpassen? Das kanns nicht so wirklich sein, denn ich stecke nicht wirklich fest gerade. Aber vielleicht ist es die Frage, ob ich denn das richtige tue?

Eine andere Angst ist auch noch so was diffuses. Es geht irgendwie darum, dass ich fürchte, mir wächst alles über den Kopf. Aber ich glaube eigentlich nicht, dass das stimmt. Eigentlich bekomme ich die Dinge ja schon immer ganz gut geregelt und ich weiß inzwischen auch, wann ich die Bremse ziehen muss, wenn eine Stressphase kein Ende findet. Daran liegts also nicht. Die Stichwörter sind auch nicht Belastung oder Arbeitsmenge. Es geht auch wahrscheinlich nicht mal um was rein berufliches. Das hat was damit zu tun, dass ich mich zu leicht verpflichten lasse, schnell Schuhe anziehe, die man mir - zuweilen nicht mal mit Absicht - hinstellt. Und dann vor lauter Verpflichtungen nicht mehr zur Ruhe zu kommen. Und die Angst hat irgendwas damit zu tun, dass ich dafür keinen Ausgleich hinbekomme. Dass mir die Balance zwischen dem nicht gelingt, was andere von mir wollen und was ich will.

Viel weiter bin ich da noch nicht, aber ich hoffe mal, dass ich das irgendwann mal genauso gut handhabe wie den andere Schrott.

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