Polyamant
Noone is an island

Das lustigste an Facebook ist ja, wenn Leute ihre "Beziehung" ändern. Facebook bot vor Jahren, als es noch eine Studentencommunity war, mal eine wirklich breite Auswahl von knapp 20 Möglichkeiten an, seinen Beziehungsstatus zu benennen. Davon sind jetzt leider nur noch 9 übrig, von denen ich allerdings vor allem "single", "married", "in a relationship", "in an open relationship" und "it's complicated" finde (Jedenfalls habe ich unter meinen 474 Kontakten keinen, der sich als"widowed", "separated" oder "divorced" bezeichnet).

Jedenfalls sind die Statusmeldungen "'Blablabla' changed his relationship to..." immer die mit den meisten likes und Kommentaren und wenn ich korrekt informiert bin hat sich inzwischen sogar eine gewisse Etikette etabliert, was das Umstellen des Status auf z.B. "in a relationship" angeht (muss gleichzeitig mit dem Partner/der Partnerin geschehen, weil sonst ohgottogott wie peinlich).

Was ich besonders drollig finde ist, dass eine Trennung mehrere Möglichkeiten nach sich führt. Logischerweise bietet sich ja "separated" an, allerdings stellen die meisten ihren Status direkt auf "single" um, was aber offensichtlich das selbe ist, da das einen Kommentarsturm an Zuspruch und Mitgefühl auslöst.

Jetzt komme ich zu dem Gedanken, auf den ich eigentlich hinauswollte als ich angefangen habe diesen Eintrag zu schreiben: Wirklich "Single", also eine Person ohne eine Beziehung, ist doch eigentlich kaum einer. Schon allein, dass so viele Menschen an so einem einfachen Statuseintrag Anteil nehmen (was auch bei Leuten passiert, die von null auf "single" schalten, da sich dieser Status offenbar als Bekanntgabe einer Trennung etabliert hat) zeigt ja, dass derjenige nicht im luftleeren Raum lebt. Wenn man diesen Facebook-Beziehungsstatus nicht als beamtisch korrekte Proklamation einer geregelten Zweierkiste ansieht, dürfte demnach eigentlich keiner "single" sein, der Freunde auf Facebook hat.

Ich hab grade mal nachgeschaut, was ich da ausgewählt habe - ich hatte das seit Anmeldung glaube ich nie geändert und wusste es daher gar nicht mehr - und stellte überrascht fest, dass da "in an open relationship" steht. So gesehen ist das natürlich auch nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch. Das Problem ist, dass "open relationship" wahrscheinlich bestimmte Kriterien beinhaltet - erkennbar daran, dass Facebook erwartet, dass ich jemanden tagge, mit der/mit dem ich diese haben sollte (was für mein Verständnis etwas schizophren ist, so lange man für diesen Status nur eine Person als Partner angeben kann).

Ich denke, eigentlich müsste ich nach Facebook-Logik wohl tatsächlich "single" auswählen. Aus oben genannten Grund tue ich das aber nicht, denn ich fühle mich alles andere als allein und auch wenn ich keine offiziell festlegbare Art von "Beziehung" habe fühle ich mich den Menschen, die ich gern habe, verpflichtet und bin ihnen gegenüber genauso loyal wie meine Freunde mit dem Status "in a relationship" oder "married"...

Alternativ ginge wohl auch "it's complicated". Allerdings finde ich mein Leben mit anderen nicht wirklich kompliziert. Vielleicht ist es für dritte nicht einfach zu verstehen, aber das verlange ich ja auch von niemandem, insoweit muss ich das ja auch niemandem auf die Nase drücken.

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Antje Schrupp hat das Buch "Lob der offene Beziehung" von Oliver Schott gelesen und ist nicht überzeugt, dass er wirklich versteht, worum es in einer Beziehung wirklich geht.

Außerdem macht sie sich Gedanken um dasselbe Thema, über das ich gestern geschrieben habe:

(...) Ich vermute, das fast schon verzweifelte und durchaus irrationale Festhalten am Konzept der Monogamie liegt auch daran, dass man sich davon genau diese Sicherheit erhofft, selbst wenn die auf sehr wackeligen Beinen steht. Wahrscheinlich hat Schott durchaus recht, wenn er argumentiert, dass offene Beziehungen letztlich nicht weniger, sondern sogar mehr Stabilität bieten, weil nicht jede neue Verliebtheit zwangsläufig dazu führt, dass die alte Beziehung beendet werden muss.

Aber: Das reicht nicht. Das Unbehagen an der Einsamkeit, die Furcht, jede „Familie“, jedes Beziehungsgefüge einfach so wieder verlieren zu können, wenn die anderen gerade keine Lust mehr haben, ist zu groß. Und eine Philosophie der offenen Beziehung gibt auf die Sehnsucht nach Verbindlichkeit keine Antwort – sie macht lediglich das, was uns fehlt, offensichtlicher. Wie aber zu verbindlichen Beziehungen finden, wenn wir die alten Verhältnisse der Unfreiheit, des Zwangs, den die exklusive Monogamie bedeutet hat, nicht mehr zurück haben wollen? Woraus gewinnen wir die Zuverlässigkeit und Kontinuität in unseren Beziehungen und retten gleichzeitig unsere Freiheit? (...) weiterlesen ....

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Schienen legen

Meine größte persönliche Niederlage war, dass ich mich an einem Punkt meines Lebens auf die Schienen habe setzen lassen, die bestimmten wie die Menschen in Deutschland idealerweise zusammenzuleben haben und dass ich das zu spät bemerkte. Schienen, die durch gesellschaftliche Bestimmungen und Gesetze aufgebaut wurden und werden und die einem das Leben leicht zu machen scheinen, wenn man ihnen folgt und es holprig und mühsam machen, wenn man versucht, einen anderen Weg zu gehen.

Anfang 2000 war es bei mir so weit, dass ich auf den Schienen fuhr: Verheiratet, zwei Kinder, ich arbeitete Vollzeit, Astrid war hauptsächlich zu Hause - eine typische Einfamilienwohnung mit Garten -, hat sich um die Kinder gekümmert und wir machten 2 Wochen Urlaub im Jahr. Astrid war diejenige, die diese Art zu leben als erste nicht mehr aushielt.

Gerade mal 6 Jahre früher noch fühlte sich das anders an: Ich unterbrach mein Studium für das Kind und Astrid schrieb ihre Diplomarbeit. Dann jobbte ich bei einem Internetprovider und Astrid machte ihr praktisches Jahr. Ich weiss nicht, ob wir groß drüber nachdachten, wie wir unser Zusammenleben organisieren wollten, wahrscheinlich nicht wirklich, denn es lagen ständig direktere Dinge an. Mit der zeit und mit den Notwendigkeiten, die für das Kind anstanden - Kindergarten, Schule - verschwanden die Möglichkeiten, dass wir beide gleichzeitig sowohl unsere berufliche wie auch private Eigenständigkeit und Gleichgestelltheit behalten konnten.

Noch früher waren wir völlig frei in allen unseren Entscheidungen. In der Zeit nach der Schule gab es keine Verpflichtung als der, darauf zu achten dass es dem anderen mit den eigenen Entscheidungen gut geht und halt irgendwie gegenseitig darauf Rücksicht zu nehmen, was der andere tat.

Was war der Grund, aus dem wir unsere Partnerschaft zweier selbstbestimmter Menschen in eine durchstandardisierte Musterehe verwandelten? Es waren offensichtlich die Kinder. Die Kinder sind somit anscheinend der Hebel, mit dem eine Gesellschaft eine politische und kulturelle Ideologie durchsetzen kann: Sie sorgt dafür, dass einige Dinge leicht zu organisieren sind und andere um so schwerer. Kindergarten und Schule zum Beispiel funktionieren in Deutschland auf eine Weise, die ein Elternteil zu hause festsetzen. Der Arbeitsmarkt bevorzugt Männer, erschwert Teilzeit- und Jobsharingregelungen und besonders attraktive Karrierepfade kann man ausschließlich beschreiten, wenn man seine Privatzeit (also auch Zeit mit Kindern) zusätzlich in den Job "investiert". Dazu kommen die Regelungen im Gesundheitswesen und viele weichere gesellschaftliche Mechanismen, die mit dem Rollenverständnis von Frauen und Männern und auch der Beurteilung der Lebensweise zu tun haben. Und schon haben wir eine Matrix in der eine ganz bestimmte, gewünschte, Beziehungsform gut funktioniert und alle anderen nur schwer oder gar nicht. Dass dies alles ein Konstrukt ist sieht man dann, wenn man sich die Matritzen in anderen Ländern ansieht, in denen z.B. die berufliche Gleichstellung einen größeren gesellschaftlichen Wert darstellt als bei uns.

Wie sehr diese Schienen festgelegt sind, wird man nächstes Jahr bei der Volkszählung sehen: Ich gehe davon aus, dass man nur die "Standardbeziehungen" betrachten wird. Es werden jede Menge Menschen in Polybeziehungen, lesbische und schwule Familien, die ganzen Gemeinschaftsprojekte und vieles mehr einfach irgendwie in die zwei Ordungsgruppen ledig und verheiratet/in einer Lebensgemeinschaft (im Sinne von "zwei Personen, wie verheiratet nur ohne Trauschein") eingeteilt werden. Wie falsch das Bild am Ende sein wird erkennt man dann an den Schlagzeilen, die den Rückgang der verheirateten Paare als Untergang des christlichen Abendlandes darstellen werden, denn "nicht verheiratet" ist ja gleichbedeutend mit "ständig wechselnde Partner", Menschen in Polybeziehungen wird ja jetzt schon gerne eine Konsum/Supermarktmentalität unterstellt.

Aber das nur als Exkurs, zurück zum Hebel, also zu den Kindern: Wie dieser Hebel funktioniert kann man momentan an einem neuen Gesetz sehen, das im Prinzip bestimmt, dass ein Kindsvater ein automatisches Sorgerecht erhält. Antje Schrupp hat sich das ganze angesehen und fasst die Auswirkung des geplanten Gesetzes so zusammen:

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bereitet gerade ein Gesetz vor, wonach es auch bei unverheirateten Eltern automatisch ein gemeinsames Sorgerecht geben soll. Frauen, die Mütter werden, ohne mit einem Mann zusammenzuleben, müssten demnach in Zukunft einen Gerichtsbeschluss erwirken, der ihnen das sozusagen „erlaubt“. (...)

und kommt nach dessen genauerer Betrachtung - die zu lesen sich wirklich lohnt - zu folgendem Schluss:

Das neue Gesetzesvorhaben ist letztlich nichts anderes als die Zelebrierung des heterosexuellen Paares als Kern und Keimzelle der Gesellschaft. Und damit ist sie alles andere als „modern“, sondern sehr altbacken. (...)

Das ist, was ich bezeichnen würde als "Schienen legen". Natürlich erkennt man, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich nicht mehr in die zwei bis drei etablierten und gesellschaftlich bevorzugten patriarchalen Beziehungsformen einfügen, mal dahingestellt, mit wie viel echter Absicht das passiert. Und genau denen werden nun Schienen vor die Füße gelegt, die - wieder ein mal über das probate Druckmittel Kind - in die gewünschte Form zurückführen.

Sicherlich gibt es auch gute Gründe für eine Stärkung der Väter, allerdings nimmt man hier eigentlich eine Lösung für einen Extremkonflikt - also eine Situation, in der ein Streit um ein Kind so weit eskaliert ist, dass er z.B. vor einem Gericht entscheiden werden muss - und setzt diese als generelle Norm für alle fest, auch für die, die die Dinge auf ihre eigene Weise regeln möchten. Zufall? Ich glaube nicht. ich denke nicht, dass man darüber - wie man annehmen könnte - einfach nur zu wenig drüber nachdachte. Ich denke viel mehr, dass man hier absichtlich einen Weg sucht, neue Schienen zu legen.

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