Polyamant |
Mittwoch, 13. August 2014
Plötzlich wieder Alien
jensscholz
14:54h
Ich stand vor 24 Kunden und erklärte ihnen die Ergebnisse eine Analyse, die wir gemacht haben. Inhaltlich war ich gut im Thema. Es ging ohnehin um meinen Home Turf, also Usability und Informationsarchitektur und all die anderen Themen, in denen ich so lange unterwegs bin, dass ich wahrscheinlich auch völlig unvorbereitet eine gute Figur abgeben hätte können. Und dann war ich plötzlich wieder 12 Jahre alt. Alien. Eine dicke Mauer zwischen mir und der Welt. Ich fand nicht rein in die Welt. Ich blieb in mir stecken. Das ist mir sehr lange nicht mehr passiert. Ich dachte, ich habe in den Jahren genügend Türen in die Mauer gebaut: Ich kann mich inzwischen an Small Talk beteiligen, habe Mimik und Körpersprache lesen gelernt und weiß, wie man Kommunikation initiiert. Aber plötzlich waren diese Türen nicht mehr da und ich geriet innerlich in totale Panik (was natürlich jenseits der Mauer kein Mensch mitbekommen hat). Am Ende spulte ich meinen Vortrag eben hinter der Wand ab, in der Hoffnung, das passt davor schon irgendwie und offenbar war das auch so. Aber ich hatte die ganze Zeit keine Rückmeldung erkennen können, ich konnte mich nur an die Uhr halten und an den Inhalt, den es zu referieren galt. Ob ich zu viel ins Detail ging, ob ich zu schnell oder zu langsam war, ob ich das Publikum gerade langweilte, amüsierte oder ärgerte... keine Ahnung. Ich schaffte es nicht, auch nur einem ins Gesicht zu sehen, was ich ja aber musste: Ich hatte ja gelernt, so vor Menschen zu sprechen, dass sie mir zuhörten und ich eine Beziehung zu ihnen erreiche und stand fassungslos neben mir selbst und sah mir zu. Ich versuchte, mir zu erklären, auf was ich achten muss muss und ich selbst versuchte, wenigstens so zu tun als schaue ich die Menschen vor mir an. Es wurden so drei sehr anstrengende Stunden. Der Teil von mir, der wusste wie es geht stand neben dem Teil von mir, der es nicht wusste. Aber der Teil, der es nicht wusste war der Teil, der redete. Nicht mal danach konnte ich sagen, wie es gelaufen ist. Nicht dass es schwer war, weil es im Publikum viel Zurückhaltung gegeben hätte oder gemischtes Feedback oder Diskussionen - das gibts ja manchmal auch. Nein, es war einfach keine verwert- oder interpretierbare Information bei mir angekommen. Null. Nada. Nichts. Das musste ich die Kollegen fragen, die mir sagten, es sei alles super gewesen. Ich selbst hatte dagegen den Eindruck, es war grauenhaft und ich müsste im Boden versinken. Ich bin immer noch völlig erschüttert, denn wie es ist, wenn man plötzlich wieder von allen Signalen abgeschnitten ist, die lesen zu können man so lange gebraucht hat und so viel Energie gekostet hat, war schlichtweg erschreckend. Für mich ist die Erinnerung an diesen Termin heute wie ein Geschichte, mit der ich nichts zu tun habe. Wie die Erinnerung an ein Youtube-Video, das ich gesehen habe, anstatt an ein Ereignis, bei dem ich Teil gewesen bin. Aber das ist auch gut, denn so kann ich versuchen, den Film Bild für Bild zu analysieren und vielleicht im Nachhinein herauszufinden, was das Alien am Redepult vielleicht hätte erkennen können. ... Comment |
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