Polyamant
Sonntag, 21. Februar 2010
Wir wollten Orgien...

Kurz:
Die Party gestern in der Essigfabrik war insgesamt sehr schön und ich hab sie zum größten Teil der Zeit sehr genossen, was aber weniger am Ambiente sondern vor allem an den großartigen Menschen lag, die da waren und mit denen ich da war.

Lang:
Daß ich mich wohlfühlte, lag nicht wirklich an der Party selbst: Der DJ kam leider nie recht in den Fluss und vergriff sich schrecklich oft. Er vergaß oder wusste gar nicht erst, womit er die Leute auf die Tanzfläche bekommen hätte (FgtH, Queen,...) und man musste sich auch erst an das nicht vorhandene und phantasielose Ambiente der Location (die einzigen bunteren Lichtquellen schienen die Bierwerbung hinter den Bars zu sein, Süßkram in Plastikfolie statt z.B. Obst zu verteilen halte ich auch nicht für Sinnlich) gewöhnen.

Die erste Enttäuschung über die laue Atmosphäre kann aber gerne an meinen überzogenen Erwartungen gelegen haben: Ich hatte als eine schöne Einstimmung für unsere "Reisegruppe" das Abendessen vorbereitet, das meinen Vorstellungen zur angekündigten Tanzparty entsprach, deren Claim "Wir wollen Orgien" ist: Es gab Lachsschnittchen, Kaviarhäppchen, edle Salami, Käse und Serranoschinken, ich hab Avocadodip und Blätterteigteilchen gemacht und Brote mit lecker Pastete und Preiselbeeren. Ich dachte, es würde eine sinnlichere und verspieltere Umgebung geschaffen - stattdessen wurde einfach nur alles dunkel abgehängt und ein Beamer strahlte schwarzweiß-Fetischbilder in eine Ecke. Da war somit erst ein mal ein gewisses Gefälle zu überbrücken, aber da ich fest entschlossen war, mich zu amüsieren, war nach einer knappen Stunde doch alles ganz gut im Lot.

Warum mir der Abend nämlich dennoch gefallen hat waren die Menschen dort. Einerseits natürlich die, mit denen ich dort war, aber auch die anderen Besucher der Party. Es gab großartige, phantasievolle Kleidung (und nicht-Kleidung) zu sehen und den unbedingten Willen zu spüren, es schön zu haben. Der DJ hatte von daher Glück, daß die Menschen unbedingt tanzen _wollten_ und es schafften, die gute Stimmung zu halten, auch wenn er z.B. die Gipsy Kings quer in den Salsa-Part haute oder mit Katie Perry die Tänzer von der Bühne jagte, die gerade noch auf die englischen Schwulenhits der 80er abhotteten.

Ich selbst bin ja nicht der Tänzer, aber ich fand es sehr schön, von dem etwas erhöhten Balkon aus, an dem wir uns eingerichtet hatten, die Tanzfläche zu beobachten, dabei meinen Gin Tonic zu trinken und mal so ein bisschen cool zu sein. Ich wußte gar nicht, daß ich es so genießen kann, von anderen angehimmelt zu werden.

Die anderen waren sicher wesentlich ausgelassener als ich und ich hoffe, sie glauben deswegen nicht, daß es mir nicht gefallen hätte. Ich freute mich, meinen Freunden und Freundinnen beim Tanzen zuzusehen und genoss ihre Ausgelassenheit. Ich sammelte viele schöne Bilder und Situationen, ich teilte auch Berührungen und Küsse, aber konnte da leider nicht so richtig die Umgebung abschalten. Was aber vielleicht auch nicht so verwunderlich ist, weil es das erste Mal war, daß ich auf so einer Party gewesen bin. Ich denke, das wird auf der nächsten schon anders sein...

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"Wir wollten Orgien"

Lieber Jens, ich finde es berührend und mutig, dass du so offen schreibst, in einer Zeit der Skandale und einer Sensationslüsternheit, die aber oftmals die authentische, essenzielle Auseinandersetzung mit den Themen Lust und Liebe, Beziehung und Freiheit, Sex und Gesellschaft vermeidet. Ich möchte, vielleicht etwas ungeordnet, und wohl auch unzensiert, ein Paar Gedanken einfliessen lassen: Die sinnlich orgiastischen Freuden müssen wir Menschen noch erlernen. Selbst ihr Namensstifter, der altgriechische Gott Dyonysos, das Sinnbild für bedingungslose Liebe und sexuell Göttliche Ekstase und rauschhafte Inspiration versank in der Spätantike zu einem patriarchalen dekadenten Schnösel mit Gewaltphantasien. "Fetisch" und "SM" (im heute gebrauchten Szenejargon) können uns vielleicht befreien, wenn Menschen ritualisiert die Themen Macht und Schuld abarbeiten, auch Themen wie Hingabe und Ekstase. leider hängt für mich diesen heutigen SM Thematiken noch die Altlast der Katholischen Inquisition an, die diese als leider noch nicht ganz befreite Gegenbewegung einst hervorgebracht hat. Schuldthemen und sexuelle Verweigerungsthematiken ("Strafe muss sein, du böser Junge, böses Mädchen") loszulassen sollten wir mit viel mehr Spielfreude und Gelassenheit erlernen, als nur in düsteren Atmosphären.
Genitale Lust (vergleiche "Das Band"-"Zahelu" aus dem Film Avatar-steht für energetische Verbindung, Verschmelzung lebender Organismen) ist für Ekstatische Zustände auch und gerade wegen ihrer Geilheit genau so wichtig wie Zärtlichkeit und seelische und geistige Verbundenheit in einem sexuellen Gruppenprozess. kollektive Ekstasen zu erleben wird die Menschheit also noch lernen müssen und bis dahin können wir versuchen, die Räume und Situationen , in denen die befreienden Lernschritte stattfinden, mit immer mehr Phantasie und Kreativität zu füllen.

Saranam Ludvik Mann

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Ich glaube, man muss Fetisch und SM noch etwas trennen und kann außerdem auch bei der Motivation mehr Bandbreite finden als "nur" die christlichen Altlasten.

Ich mag ein paar Eigenschaften aus beiden Bereichen: Die Kompromisslosigkeit, die klaren Verhältnisse (die m.M. für viele eine Zuflucht und eine befreiende Abwechslung ist zu den komplexen Mechanismen in denen wir leben), das unbedingte Vertrauen, das zu erfahren in beiden Positionen sicherlich sehr befreiend und erfüllend sein kann...

Ich sehe natürlich auch die Zwanghaftigkeit und gerade beim Thema Fetisch auch das Ausgeliefert sein an seinen jeweiligen Zwang.

Ich mag aber wiederum die Bilder und die Kunstfertigkeit, die Kreativität, die dort entsteht.

Ich glaube daher nicht, daß christliche Bilder noch eine große Rolle spielen (zumindest nicht mehr sehr ernsthaft), vielleicht war das früher anders oder es ist eine von vielen Ausprägungen - mehr noch bei denen, die schon sehr lange in der Szene vertreten sind. Aber die würde ich als aussterbende Art betrachten.

Die Leute aus der SM-Szene, die ich bisher kennengelernt habe, sind doch eher an Erfahrungen interessiert, an Lust und den Testen von Verantwortung und am Erweitern von Grenzen in einem geschützten Raum. Die Zeiten, als man damit kulturelle Psychosen verarbeitet hat sind wahrscheinlich vorbei, wenn es sie denn so überhaupt gegeben hat.

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