Polyamant
Freitag, 26. März 2010
Das andere Teilen

Wenn man eine klassische Beziehung hat oder gar verheiratet ist und zusammen lebt dann gibt es jede Menge Probleme, die sich aus dem Umstand ergeben, daß man - haha - "in guten wie in schlechten Zeiten" miteinander auskommen muss. Rückzugspunkte sind extrem rar. Der persönliche Raum ist eng und wird immer enger, wenn man nicht aufpasst. Das muss man daher ständig verhandeln und im Auge behalten und Rücksicht nehmen und schafft das am Ende dann doch eher selten (oder eben gar nicht).

Der Blick auf Polybeziehungen fällt daher oftmals erstmal so aus: Die sind viel freier, können sich ganz nach Stimmung dem jeweils passenden Partner widmen und wenn der eine grade was vor hat geht man halt zum anderen. Die Kritikpunkte sind dann: Das ist letztlich der Übertrag des verantwortungsfreien Konsums in die Beziehungsebene. Alles ist unverbindlich und oberflächlich, was aber nicht auffällt, da ja genug Abwechslung auch davon ablenkt, daß man eigentlich keine tiefgehende Beziehung eingeht mit allem was dazugehört. Inklusive des miteinander auskommen müssens wenn es mal kracht.

Ich habe inzwischen einen etwas anderen Blick. Für mich ist eine Polybeziehung überhaupt nicht leichter oder oberflächlicher. Im Gegenteil, man muss viel mehr verhandeln und vor allem muss man eine im Vergleich zur klassischen Zweierkiste enorme Transparenz und Klarheit erzeugen, weil diese für das gegenseitige Vertrauen absolut notwendig ist. Was die "Tiefe" der Beziehung ist - und ich kann das mit meiner Vergangenheit glaube ich gut beurteilen - gibt es keinen Unterschied: Es gibt genau dieselben oberflächlichen Freundschaften, die Zweckbeziehungen, die heftig emotionalen Feuerwerke, die Jahre andauernde und immer weiter wachsende und sich verändernde Liebe... Nur mit dem Unterschied, daß eine Person mehrere davon hat. Und mit dem daraus folgenden Unterschied, daß sich dabei eventuell ein Zeitproblem ergeben kann, je nachdem, wie viele Partner oder Partnerinnen in einem ja nicht parallelisierbaren einzelnen Leben involviert sind.

Das heißt, man hat im Prinzip erst einmal dieselben Probleme wie monogame Paare. Dann hat man einige Probleme nicht oder vielleicht weniger stark. Alles was mit dem Komplex "Du liebst mich nicht mehr, wenn Du andere anschaust!" zu tun hat. Das ist - auch für mich - eine Wohltat. Nicht weil ich andere Partnerinnen habe (hab ich nicht) aber weil das kein Kriterium ist, über das ich nachdenken muss. In der Zweierkiste wird es hier viele Konflikte um Schuld, Geheimnistuerei und um den Vertrauensverlust geben, die normalerweise grundsätzlich zur Hinterfragung der gesamten Beziehung führen. Erst als ich diesen ganzen Komplex mal losgeworden bin habe ich festgestellt, wie belastend und vor allem wie unsagbar künstlich diese ganze Konstruktion ist.

Was daraus übrig bleibt ist allein das Teilen müssen. Das muss ständig verhandelt werden, denn wenn man da irgendwann zu kurz kommt weil mit jedem neuen Partner der Freundin weniger und weniger Zeit für die eigene Beziehung übrig bleibt wird man auch unglücklich.

Am besten Vergleichbar ist das mit einer Fernbeziehung. Am Anfang mag das noch romantisch sein: Jedes mal, wenn man sich sieht ist die gemeinsame Zeit ungleich intensiver. Der graue Alltag ist beiseite, die vorhandene Zeit wird 100% genutzt und man hat immer wieder neu die Freude des Wiedersehens und den Abschiedsschmerz. Es kommt aber irgendwann die Zeit, in der man auch mal lange reden muss. Oder ein Problem lösen. Oder etwas ausgerechnet während der Zeit zu tun hat, in der man eigentlich nur zusammen sein wollte. Oder in der man doch auch mal einen Streit hat. Dann bekommt man einen Stress, die man eben nur in einer Fernbeziehung hat, denn man hat darin immer einen recht nah gesetzten Zeitpunkt, an dem man wieder auseinandergehen muss und der macht einen verrückt wenns mal nicht so gut läuft.

Und wenn der Abstand zum nächsten Wiedersehen immer länger wird und die Zeit bis zum neuen Abschied immer kürzer nutzt es einem wenig, dass man sich der Liebe des anderen sicher sein kann: Man wird latent unzufrieden und weiß nicht, wie man mit seinen Ansprüchen umgehen soll, wenn man andererseits den anderen nicht unter Druck setzen will.

Nun könnte man sagen, dann kann man doch die Zeit, in der man sich nicht sieht, einfach mit anderen Partnern teilen, das ist doch in Polybeziehungen kein Problem. An dieser Stelle bin ich mir unsicher. Da hören meine eigenen Erfahrungen nämlich auf und ich habe über meine Bedürfnisse noch viel zu wenig Überblick, um hier irgendeine Entscheidung zu treffen.

Abgesehen davon, daß selbst eine Entscheidung noch lange keine Fakten erzeugen würde - über das Thema "Wenn ich nur wüßte, warum ich immer so lange Distanz halte" schreib ich vielleicht auch nochmal was.

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