Polyamant |
Sonntag, 21. Februar 2010
Wir wollten Orgien...
jensscholz
12:47h
Kurz: Lang: Die erste Enttäuschung über die laue Atmosphäre kann aber gerne an meinen überzogenen Erwartungen gelegen haben: Ich hatte als eine schöne Einstimmung für unsere "Reisegruppe" das Abendessen vorbereitet, das meinen Vorstellungen zur angekündigten Tanzparty entsprach, deren Claim "Wir wollen Orgien" ist: Es gab Lachsschnittchen, Kaviarhäppchen, edle Salami, Käse und Serranoschinken, ich hab Avocadodip und Blätterteigteilchen gemacht und Brote mit lecker Pastete und Preiselbeeren. Ich dachte, es würde eine sinnlichere und verspieltere Umgebung geschaffen - stattdessen wurde einfach nur alles dunkel abgehängt und ein Beamer strahlte schwarzweiß-Fetischbilder in eine Ecke. Da war somit erst ein mal ein gewisses Gefälle zu überbrücken, aber da ich fest entschlossen war, mich zu amüsieren, war nach einer knappen Stunde doch alles ganz gut im Lot. Warum mir der Abend nämlich dennoch gefallen hat waren die Menschen dort. Einerseits natürlich die, mit denen ich dort war, aber auch die anderen Besucher der Party. Es gab großartige, phantasievolle Kleidung (und nicht-Kleidung) zu sehen und den unbedingten Willen zu spüren, es schön zu haben. Der DJ hatte von daher Glück, daß die Menschen unbedingt tanzen _wollten_ und es schafften, die gute Stimmung zu halten, auch wenn er z.B. die Gipsy Kings quer in den Salsa-Part haute oder mit Katie Perry die Tänzer von der Bühne jagte, die gerade noch auf die englischen Schwulenhits der 80er abhotteten. Ich selbst bin ja nicht der Tänzer, aber ich fand es sehr schön, von dem etwas erhöhten Balkon aus, an dem wir uns eingerichtet hatten, die Tanzfläche zu beobachten, dabei meinen Gin Tonic zu trinken und mal so ein bisschen cool zu sein. Ich wußte gar nicht, daß ich es so genießen kann, von anderen angehimmelt zu werden. Die anderen waren sicher wesentlich ausgelassener als ich und ich hoffe, sie glauben deswegen nicht, daß es mir nicht gefallen hätte. Ich freute mich, meinen Freunden und Freundinnen beim Tanzen zuzusehen und genoss ihre Ausgelassenheit. Ich sammelte viele schöne Bilder und Situationen, ich teilte auch Berührungen und Küsse, aber konnte da leider nicht so richtig die Umgebung abschalten. Was aber vielleicht auch nicht so verwunderlich ist, weil es das erste Mal war, daß ich auf so einer Party gewesen bin. Ich denke, das wird auf der nächsten schon anders sein... ... Comment
Saranam, 18.03.10, 12:56
"Wir wollten Orgien"
Lieber Jens, ich finde es berührend und mutig, dass du so offen schreibst, in einer Zeit der Skandale und einer Sensationslüsternheit, die aber oftmals die authentische, essenzielle Auseinandersetzung mit den Themen Lust und Liebe, Beziehung und Freiheit, Sex und Gesellschaft vermeidet. Ich möchte, vielleicht etwas ungeordnet, und wohl auch unzensiert, ein Paar Gedanken einfliessen lassen: Die sinnlich orgiastischen Freuden müssen wir Menschen noch erlernen. Selbst ihr Namensstifter, der altgriechische Gott Dyonysos, das Sinnbild für bedingungslose Liebe und sexuell Göttliche Ekstase und rauschhafte Inspiration versank in der Spätantike zu einem patriarchalen dekadenten Schnösel mit Gewaltphantasien. "Fetisch" und "SM" (im heute gebrauchten Szenejargon) können uns vielleicht befreien, wenn Menschen ritualisiert die Themen Macht und Schuld abarbeiten, auch Themen wie Hingabe und Ekstase. leider hängt für mich diesen heutigen SM Thematiken noch die Altlast der Katholischen Inquisition an, die diese als leider noch nicht ganz befreite Gegenbewegung einst hervorgebracht hat. Schuldthemen und sexuelle Verweigerungsthematiken ("Strafe muss sein, du böser Junge, böses Mädchen") loszulassen sollten wir mit viel mehr Spielfreude und Gelassenheit erlernen, als nur in düsteren Atmosphären. Saranam Ludvik Mann ... Link
jensscholz, 22.03.10, 15:27
Ich glaube, man muss Fetisch und SM noch etwas trennen und kann außerdem auch bei der Motivation mehr Bandbreite finden als "nur" die christlichen Altlasten. Ich mag ein paar Eigenschaften aus beiden Bereichen: Die Kompromisslosigkeit, die klaren Verhältnisse (die m.M. für viele eine Zuflucht und eine befreiende Abwechslung ist zu den komplexen Mechanismen in denen wir leben), das unbedingte Vertrauen, das zu erfahren in beiden Positionen sicherlich sehr befreiend und erfüllend sein kann... Ich sehe natürlich auch die Zwanghaftigkeit und gerade beim Thema Fetisch auch das Ausgeliefert sein an seinen jeweiligen Zwang. Ich mag aber wiederum die Bilder und die Kunstfertigkeit, die Kreativität, die dort entsteht. Ich glaube daher nicht, daß christliche Bilder noch eine große Rolle spielen (zumindest nicht mehr sehr ernsthaft), vielleicht war das früher anders oder es ist eine von vielen Ausprägungen - mehr noch bei denen, die schon sehr lange in der Szene vertreten sind. Aber die würde ich als aussterbende Art betrachten. Die Leute aus der SM-Szene, die ich bisher kennengelernt habe, sind doch eher an Erfahrungen interessiert, an Lust und den Testen von Verantwortung und am Erweitern von Grenzen in einem geschützten Raum. Die Zeiten, als man damit kulturelle Psychosen verarbeitet hat sind wahrscheinlich vorbei, wenn es sie denn so überhaupt gegeben hat. ... Link ... Comment |
Online for 5528 days
Last modified: 28.02.20, 09:21 Status
Youre not logged in ... Login
Menu
Suche
Calendar
Recent updates
Immer dieselbe Frage "Wie kann
man denn Liebe auf mehrere Menschen aufteilen?" "Wenn Du das...
by jensscholz (15.08.17, 08:43)
One year of living dangerously
Ich lese und spreche gerade viel über Trauma. An verschiedenen...
by jensscholz (02.05.17, 19:17)
Ein bisschen weniger schwierig wäre
schön Ich habe dieses Jahr mehrere Monate in einer ständigen...
by jensscholz (30.12.15, 17:36)
Familie Ich komme aus einer
Großfamilie. Beim siebzigjährigen Geburtstag meiner Oma waren 180 Gäste und...
by jensscholz (30.06.15, 09:38)
Grundrauschen triffts. Aber ich bin
ja ganz froh, dass es dieses Grundrauschen gibt. Viel...
by jensscholz (30.06.15, 09:19)
deine Texte, dieder und der
ausm April (naja, auch einige davor) machen mich immer...
by Irka Lunkwitz (27.06.15, 22:18)
Leben so es gibt Dinge,
die nicht gut funktionieren. Ich weiß nicht, was ich mit...
by jensscholz (11.06.15, 08:09)
Plan, kein. Ich hatte die
ersten 40 Jahre immer eine einigermaßen klare Vorstellung, wo ich...
by jensscholz (14.04.15, 14:39)
das stimmt zwar, aber auch
die Fähigkeit, das zu erkennen ist eine, die man...
by jensscholz (03.01.15, 21:26)
ich finde das wunderbar -
vielleicht weil ich auch so bin - doch mancher...
by wilhelm peter (01.12.14, 15:35)
Was ich brauche Ich mag
es, gebraucht zu werden. Wenn es sowas wie einen ganz...
by jensscholz (01.12.14, 14:01)
Plötzlich wieder Alien Ich stand
vor 24 Kunden und erklärte ihnen die Ergebnisse eine Analyse,...
by jensscholz (13.08.14, 14:54)
Maschine Maschine Ich merke nicht,
wie angespannt ich bin. Vielleicht, weils ein Dauerzustand ist und...
by jensscholz (16.07.14, 20:58)
Frühling
Plötzlich ist der Winter vorbei. Im Winter schlafe ich ein. Für Wochen. Anfangs ist...
by jensscholz (13.03.14, 08:59)
Es muss ja nicht immer
Ernst sein Epic TMI Question List: 1: Kitchen Counter, Couch,...
by jensscholz (04.11.13, 21:04)
Steifheit Wenn ich zu lange
nur arbeite, werde ich privat steif und nüchtern und ich...
by jensscholz (05.10.13, 00:35)
Finde ich mich grad
aktuell absolut drin wieder; Danke für's präzise Formulieren ! :)
by Kai Damm (30.09.13, 01:38)
Meine Vorstellung von einem perfekten
Moment Ich möchte am Meer sitzen, bei einer leichten Brise...
by jensscholz (03.08.13, 20:02)
Außen/Innen Das hier passiert mir
immer noch. Das kann man offenbar nicht ablegen. Man kann...
by jensscholz (26.06.13, 09:14)
Also zwischen uns liegen jetzt
zwar ein paar Jahre, aber ich kann das, was...
by wurzelfrau (14.05.13, 22:35)
Zeit Ich fühle mich alt.
Das war zwar schon öfter mal so, vor allem nach...
by jensscholz (12.05.13, 22:07)
|